Trends in der Finanzbranche Teil 1 – Quo vadis, Finanzwelt?

Ähnlich einem Seismografen reagieren Akteure auf den Finanzmärkten nahezu als erste sensibel und unmittelbar auf sich abzeichnende Zustandsänderungen sowie Trendentwicklungen jeder Art.
von Sophia Wengler

Womöglich wirkt hier eine Art „Schwarmintelligenz“. Daher ist es wenig verwunderlich, dass der Finanzbereich neben den rein finanziellen, auch tiefgreifende wirtschaftliche, soziale sowie gesellschaftlich relevante Themen aufgreift und deren Entwicklungslinien nachzeichnet bzw. Trends antizipiert. Die gesamte Branche befindet sich aktuell unter stetem Druck, großen Herausforderungen stehen dabei wegweisende Trend-Entwicklungen mit enormen Lösungspotenzial entgegen. Ein Trend beschreibt gerichtete, dynamische Veränderungen und Wandlungsprozesse unterschiedlicher Tiefe und Formen, die sich bereichsübergreifend durch die Gesellschaft ziehen. Sie beinhalten somit stets die Ablösung alter Gegebenheiten bei gleichzeitigem Durchbruch von Neuem.

Trends erlauben Einschätzungen und erste Aussagen über die Zukunft. Sie sind jedoch kaum messbar und stets vage. Die Wege, sich den unzähligen Trendentwicklungen dabei analytisch anzunähern sind vielfältig. Eine Möglichkeit bietet der TREND FINDEX, der als Radar für Trendbewegungen innerhalb der Finanzszene derartige Entwicklungsschübe mittels der Beobachtung und Analyse von Social Media Daten anschaulich illustriert. Diese Beitrags-Reihe fokussiert sich auf die drei Trends Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Transparenz, wobei ersterer in diesem Beitrag im Fokus steht. Diese berühren als übergeordnete Themenschwerpunkte nicht nur die globale Finanzszene auf unterschiedliche Weise, sondern bewegen sich auch an etlichen Schnittstellen zu zahlreichen anderen Gesellschaftsbereichen.

Das Buzzword des Jahrzehnts: Digitalisierung

Aktuell steht die gesamte Branche immensen Herausforderungen entgegen. Die Digitalisierung, mittlerweile seit einigen Jahren steter Treiber der Entwicklung, dringt nun in ihrer vollen Breite und mit rasanter Geschwindigkeit bis in den Kern der Finanzwelt vor und stößt dort substanzielle Weiterentwicklungen an. Sie führt nicht nur zu einer gravierenden, sondern gleichzeitig wechselseitigen Veränderungsdynamik, da strukturelle Änderungen der Branche eine forcierte Digitalisierung ebenso notwendig machen und diese vorantreiben, um erfolgreich im Wettbewerb bestehen und weiterhin Marktanteile gewinnen zu können. Die Interaktion zwischen Kunde und Bankberater hat sich in die Online-Welt verlagert. Das setzt etablierte Banken unter Druck, sich den digitalen Angeboten zahlreicher Neo-Banken, Mobile-Trader und aufstrebender FinTechs anzupassen, um Kunden zu halten und selbst wettbewerbsfähig zu bleiben.

Originär analoge Service-Angebote müssen nun möglichst umfassend und effizient ins Digitale übersetzt werden, um den Wechsel von Bestandskunden sowie die Kundengewinnung zu gewährleisten, da sowohl für Privatpersonen als auch Geschäftskunden die Service-Anforderungen und Wünsche kontinuierlich steigen. Im Fokus des Interesses steht dabei die Customer Experience und ein ganzheitliches, nutzerfreundliches und zeitsparendes Banking.

Finanz-Ökosystem für anspruchsvolle Kunden: Von Open Banking auf dem Weg zu Open X Antwort auf diese neuen Anforderungen geben große Tech-Konzerne und FinTech-Unternehmen, die neue Maßstäbe in Bezug auf die Vernetzung und Benutzerfreundlichkeit digitaler Anwendungen setzen. Open Banking im Sinne eines kundenzentrierten und mit branchenübergreifenden Finanzlösungen angereicherten Ökosystems erhält nun Einzug in das Bankenwesen. Kundenorientierung in Zeiten von Open Banking bedeutet, dass sich traditionelle Geschäftsbanken für Drittanbieter öffnen und mit der Erweiterung ihres Angebotsspektrums agiler auf Veränderungen reagieren müssen. Kunden, Produkte und Dienstleistungen treffen sich verstärkt auf integrierten Plattformen und die Verdichtung zu „Super Apps“ und One-Stop-Shops ermöglichen eine neuartige Dimension der Customer Experience.

Den Bankfilialen steht demnach eine unbeständige Zukunft bevor. Die Entwicklungen zeigen – die Kundenbindung schwindet. Anstatt der Filiale suchen Bankkunden zunehmend den Weg ins Digitale und digitalisierte Angebote werden aus Kundensicht wichtiger als nahegelegene Bankfilialen und physische Beratungsmöglichkeiten. Mehr als die Hälfte der Deutschen kann sich mittlerweile vorstellen, Kunde einer reinen Online-Bank zu werden. Drei von vier Bürgern nutzen regelmäßig Online-Banking und jeder Dritte unter ihnen könnte bereits heute gänzlich auf eine Filiale vor Ort verzichten.

Cash is no king anymore!
Die Corona-Pandemie hat nicht nur das gesellschaftliche Leben, sondern auch das Konsum- und Zahlungsverhalten der Menschen nachhaltig beeinflusst. Social Distancing wird zunehmend auch beim Einkaufen und Zahlen gängige Praxis. Die Entwicklungen neuartiger Zahlungsoptionen sowie die kontinuierliche Weiterentwicklung in Bezug auf die Sicherheit digitaler Transaktionen erfahren zunehmend staatliche als auch technologische Unterstützung. Beispielsweise bargeldloses Zahlen per Smartphone oder ähnlicher Devices, „Payment-as-a-service“, „Buy Now, Pay Later“-Lösungen sowie alternative Zahlungsmethoden großer Tech-Giganten, die in Kooperation mit traditionellen Banken treten, lösen sukzessive die „klassische“ Barzahlung ab.
Selbst Deutschland, dass bislang beharrlich am Bargeld festhielt und wo weiterhin ein großer Teil der Bevölkerung Barzahlungen bevorzugt, freundet sich allmählich mit alternativen Zahlungsmöglichkeiten und kontaktlosen Finanztransaktionen an. Dabei hat das Konzept von Open Banking bereits den Weg für einen Nachfolger geebnet: die Phase des Open X rückt näher, die als „Banking-as-a-Service“ den Konsumenten noch weiter in den Fokus des Finanzgeschehens rückt.
Die technischen Voraussetzungen und Gegebenheiten des übergreifenden Bankings benötigen jedoch immense Speicherkapazitäten. Diese bringen interne Server an die Grenze ihrer Auslastung und lassen somit auch die Bereiche des Cloud Computing und dezentrale Speicherorte an Relevanz gewinnen. In Verbindung mit automatisiert ablaufenden Prozessen schaffen Künstliche Intelligenz und Maschinelles Lernen so die „Massenpersonalisierung“ in Form von passgenauen Produkten und Dienstleistungen.
Bahn frei für die Krypto-Revolution?
Die Verknüpfung von technologischen Möglichkeiten und gesellschaftlichen Entwicklungen hin zum autonomen Kunden, der zunehmend seine Finanzaktivitäten unmittelbar überblicken sowie selbstständig verwalten kann, führte zum rasanten Aufstieg digitaler Zahlungsalternativen sowie maßgeblichen Entwicklungen im Bereich Blockchain und anderer Distributed Ledger Technologies (DLTs). Bitcoin legte als erste Cyber-Währung seit dem Jahr 2008 eine beeindruckende Karriere hin und bildete den Wegbereiter für weitere Kryptowährungen wie Ethereum, Ripple, Litecoin & Co., die derzeit die öffentliche Wahrnehmung dominieren.
Betrachtung über 12 Monate hinweg, Summe der Beiträge und Interaktion in Web und Social Media zum Thema Kryptowährungen; Quelle: Talkwalker.
Trotz großer Schwankungen der netzbasierten Aufmerksamkeit bleibt die Thematik insgesamt hoch im Kurs und generiert seit mehreren Monaten großes Aufsehen in Web und Social Media. Allein im Monat April konnten über 5.700 deutschsprachige Online-Beiträge zum Thema Kryptowährungen verzeichnet werden. Die Krypto-Thematik sichert sich seit mehreren Monaten einen Platz in den Top Ten des TREND FINDEX. Auf globaler Basis generieren Kryptowährungen über 200 Millionen Beiträge. Mit einem Gesamt-Engagement von mehr als 754 Millionen zeigt dieser Befund eindrücklich die anhaltende Relevanz des Themas – Tendenz steigend.
„Krypto-Hype“ mit innovativem Fundament
Die zugrundeliegende Blockchain-Technologie als digitale Innovation ist insbesondere für die Zukunft des Finanzsektors und auch darüber hinaus bahnbrechend. So können finanzielle Transaktionen unabhängig, dezentral und abseits der Kontrolle institutioneller Finanz-Einrichtungen getätigt werden. Die Technologie steckt noch in seiner Frühphase, das Potenzial ist jedoch enorm. Trotz großer Kontroversen über die Sicherheit, den Bestand und die Profitmöglichkeiten von Krypto-Assets, bringt die hoch spekulative Anlageform mit großen Chancen sowie ebenso hohen Risiken gegenwärtig sowohl private Anleger als auch Unternehmen dazu, in Kryptowährungen zu investieren.
Besonders tierische Memes scheinen in der Krypto-Welt dabei hoch im Kurs zu stehen. Neben den Siegeszügen des Dogecoin sowie anderen Krypto-Assets, werden zunehmend auch Kunstwerke und digitale Objekte mittels Blockchain versandt und mittels Kryptowährungen bezahlt. Was mit den populären CryptoKitties im Jahr 2018 begann, feiert im Jahr 2021 ein Revival. Der Verkauf eines Katzen-Gifs für eine halbe Millionen Euro, versandt als Non-Fungible-Token (NFT) via Blockchain, bildet lediglich den Anfang der Entwicklung digitaler Assets, an dessen Fortschreibung sich immer mehr Akteure beteiligen.
Trotz hoher regulatorischer Anforderungen wird gegenwärtig international der Weg für die breite Etablierung von Krypto-Werten geebnet. Auch die Zentralbanken einiger Länder öffnen sich zunehmend der Thematik und Digitales Zentralbankgeld (CBDC) ist derzeit bereits in etlichen Staaten in Planung. Während China den E-Yuan seit mehreren Monaten testet, ist auf den Bahamas der Sanddollar bereits als weltweit erste CBDC im Umlauf. Die EZB äußerte Pläne zu einem potenziellen E-Euro, die sich bereits in wenigen Monaten konkretisieren sollen. Auch die Briten beteiligen sich mit dem Vorschlag eines Britcoin am globalen Wettlauf um die Währung der Zukunft.
Elon Musk macht es vor und viele folgen. Neben staatlichen Akteuren wenden sich zunehmend auch Finanzinstitute wie Visa, Mastercard oder Zahlungsanbieter PayPal der neuen Währungsform zu. Auch Ebay verkündigte jüngst, digitale Währungen zukünftig als Zahlungsoption zu akzeptieren. Mit Doge-1 fliegt 2022 der erste krypto-finanzierte Satellit zum Mond.
Summe der Beiträge und Interaktion in Web und Social Media zum Thema Tesla/ Elon Musk in Verbindung mit Bitcoin über 12 Monate hinweg; Quelle: Talkwalker; Boerse-Online.com.
Elon lässt die Kurse tanzen
Große Chancen stehen jedoch auch signifikanten Risiken gegenüber. So verleitet das Investment per App zu einer höheren Risikobereitschaft und verändert das Anlageverhalten auf eine fundamentale Weise, da Marktbeobachtungen sowie Transaktionen via Smartphone von nahezu überall und jederzeit innerhalb von wenigen Minuten möglich wird.
Insbesondere jüngere Altersklassen stützen sich in Bezug auf die eigene finanzielle Bildung dabei zunehmend auf die Analysen, Meinungen und Tipps von „Finfluencern“ oder anderen digitalen Meinungsführern, die binnen weniger Klicks die nötigsten Informationen rund um die Themen Finanzen und Geldanlagen liefern und so den Einstieg und Erfolg an der Börse versprechen. Gelingt es Elon Musk neben gewaltigen Investitionen mit wenigen Worten sowohl den Bitcoin als auch den Dogecoin in neue Wertsphären zu katapultieren, so genügt ein einziger Tweet, um den Krypto-Markt nachhaltig in seinen Grundfesten zu erschüttern. Befeuert wurde dieser Kurs-Crash durch Bedenken der chinesischen Regierung, verteilt über das Messaging-Programm weChat. Das Ausmaß der Diskussionen im Netz spiegelt sich in der Wertentwicklung des Bitcoins wider. Große Ausschläge nach oben und unten sowie einschneidende Geschehnisse werden von einer deutlich steigenden Anzahl von Beiträgen begleitet. Solche Entwicklungen zeigen exemplarisch die Wirkmacht digital vermittelter Konversationen, die sich in konkrete Handlungen mit nachhaltigen Konsequenzen entladen können.
Fazit:
Banking steht nun vollends im Namen der Customer Experience und wird zunehmend digitaler, schneller, einfach und komfortabler. Der gesamte Sektor sieht sich gezwungen, den Spagat zwischen regulatorischen, digitalen und kundenseitigen Anforderungen zu bewältigen. Dabei ist nicht die Digitalisierung selbst oder gar allein der maßgebliche Treiber für die Zukunft der Finanzbranche, sondern ein basales und grundlegendes Element in einem multifaktoriellen Prozess. Wie eingangs bereits geschildert: Der Finanzmarkt ist ein sensibler Entwicklungs-Seismograf, dessen Beobachtung sowie die Analyse seiner Ausschläge wichtige Entwicklungen in den Fokus rücken und den aufmerksamen Beobachter zu unmittelbaren Gegenreaktionen befähigt. Dabei zeigte sich, dass insbesondere der Einbezug von Social Media Daten wie jene Analysen des TREND FINDEX spannende Einblicke geben und Entwicklungstrends aufspüren und abbilden können.
Aktuelle Entwicklungen, wie es das Chaos auf dem Krypto-Markt anschaulich illustriert, veranschaulichen auch die gegenseitige Beeinflussung gesellschaftlicher Teilbereiche sowie die Schattenseiten der fortschreitenden Öffnung des Marktes. Insbesondere der autonome und aufgeschlossene Kunde, der seine Finanztätigkeiten digital verwaltet und gleichzeitig global vernetzt ist, wird als „Faktor Mensch“ einer der größten Unsicherheitsfaktoren. Auf digitale Posts internationaler Meinungsführer folgen binnen Sekunden reale Konsequenzen, die eine eigene Dynamik entfalten und bestehende Machtgefüge sowie Öffentlichkeit neu definieren. Auch die Themen Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Vertrauen spielen eine maßgebliche Rolle für zukünftige Entwicklungen und das Potenzial der gesamten Branche. Welche Relevanz diese beiden Themenbereiche für die Finanzwelt besitzen und wie alle drei beleuchteten Trends im Zusammenspiel ein ganzheitliches System bilden, erfahren Sie im zweiten Teil der Beitrags-Reihe.
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Autor
Sophia Wengler
Manager Marketing & Communications
CURE Intelligence

Während ihres Bachelor-Studiums in Soziologie fand Sophia über ein Praktikum den Weg zu CURE. Als Marketing & Communications Managerin unterstützt sie das Team und ist Ansprechpartnerin für den TREND FINDEX, unseren monatlichen Trend Report im FINANZSEKTOR. Parallel absolviert Sie ein Masterstudium in Wirtschaftssoziologie an der Universität Trier.

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